Die Mundart im Erzgebirge

Das Waldgebiet, das sich vom Vogtland aus 100 km nach Osten bis zum Elbsandsteingebirge erstreckt, trägt seit der Mitte
des 18. Jh. den kennzeichnenden Namen Erzgebirge. Das Erz hat das Schicksal dieser Berglandschaft und ihrer
Bewohner weitgehend bestimmt.
Das erzgebirgische Waldgebiet wurde mit dem Beginn des 12. Jh. durch deutsche Bauern und Bergleute in mehreren
Siedlungswellen erschlossen. Der grundherrlich-bäuerlichen Besiedlung im 12. und 13. Jh., die mit der frühen
bergmännischen Besiedlung im Freiberger Raum um 1168 eng verknüpft war, folgte im 15. Jh. mit der Entdeckung
reicher Silbervorkommen im Westerzgebirge (Schneeberg) die für diese Gegend entscheidende bergmännische Besiedlung.
Die wertvollen Erzlagerstätten lockten Menschen in großer Zahl an und verwandelten das ehemalige westerzgebirgische
Bauernland zum städte- und volkreichsten Gebirge Deutschlands mit einer bis heute bestehenden Überbevölkerung.
Von dieser strukturverändernden Entwicklung des 15./16. Jh. wurde der östliche Teil des Erzgebirges nicht erfaßt.

Der Rückgang des Silberbergbaus zwang die erzgebirgischen Bergleute, neue Arbeitsmöglichkeiten zu suchen.
Der Zinn- und Eisenbergbau, der während der Blütezeit des Silberbergbaus an Bedeutung verloren hatte, und die
Waldwirtschaft boten Arbeitsmöglichkeiten. So wurde seit der zweiten Hälfte des 16. Jh. nunmehr auch das obere,
bisher kaum bewohnte Erzgebirge besiedelt. In gleicher Weise wirkte sich der Zustrom böhmischer Protestanten aus,
die um ihres Glaubens willen in der Zeit von 1621 bis in die erste Hälfte des 18. Jh. ihre Heimat verließen und sich
entweder in bereits bestehenden Orten des Erzgebirges oder unmittelbar an der sächsisch-böhmischen Grenze auf
sächsischem Boden niederließen. So entstanden zahlreiche dörfliche und städtische Neugründungen im oberen Erzgebirge,
unter denen Johanngeorgenstadt (1654) am bekanntesten ist.
Einen neuen gewaltigen Zuwachs brachte der Flüchtlingsstrom nach dem zweiten Weltkrieg und der Uranbergbau
nach 1945 der erzgebirgischen Bevölkerung.
Das Erzgebirgische, die Mundart der Menschen des erzgebirgischen Waldgebirges, grenzt im Westen an das Vogtländische,
im Norden und Osten wird es vom Obersächsischen mehr oder weniger stark beeinflußt, und im Süden reicht der
erzgebirgische Sprachraum heute nach der Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen nach 1945 bis zur Landesgrenze,
während er sich vordem bis zum Gebirgsrand erstreckte, wo er auf das Egerländische, Nordwestböhmische
und Nordböhmische stieß.
Das Erzgebirgische ist kein einheitlicher Sprachraum, sondern zerfällt in zwei selbständige Mundarten, ins Westerzgebirgische
und ins Osterzgebirgische.
Das Westerzgebirgische kennt vereinzelt wohl sprachliche Unterschiede zwischen den Ortschaften, ist aber insgesamt durch
eine Einheitlichkeit charakteristisch, die sie vom Vogtländischen im Westen und vom Osterzgebirgischen im Osten eindeutig unterscheidet.
Die Grundlagen hierfür hat der westerzgebirgische Silberbergbau des 15. und 16. Jh. geschaffen.
Die bergmännische Besiedlung des Westerzgebirges führte im 15. Jh. zu einer Überbevölkerung dieses Gebietes und hat
mit dem regen Verkehr der zahlreichen Bergstädte und dem Hin- und Herfluten der Bergleute die ehemaligen Sprachgrenzen der
bäuerlichen Besiedlung des 12. und 13. Jh. aufgehoben und so den westerzgebirgischen Sprachraum vereinheitlicht und
bis an die Sprachbarrieren im Vogtland und im Osterzgebirge sowie im Egerland und in Nordwestböhmen ausgedehnt (siehe Karte).
Der durch die Siedler aus dem oberfränkischen Altland mit den Städten Bamberg, Würzburg, Nürnberg begründete
oberfränkische Charakter der westerzgebirgischen Mundart wird jedoch - vor allem seit dem 19. Jh. - durch Einflüsse
des Obersächsischen und der obersächsischen Umgangssprache bedroht. Die von Nordwesten und von Nordosten
vordringenden Sprachströmungen, die von den Kultur- und Industriezentren Zwickau und Leipzig einerseits
und von Meißen und Dresden andererseits ausgehen, beeinflussen die westerzgebirgische Mundart derartig,
daß bereits von Verfall und Auflösungserscheinungen gesprochen wird.

Als Hauptmerkmale der westerzgebirgischen Mundart verdienen die folgenden Spracherscheinungen
besondere Beachtung:

Weiterhin sind eine Reihe we. Einzelformen typisch für die westerzgebirgische Mundart, so we. net für "nicht" gegenüber
dem Osterzegirgischen und Obersächsischen nich und we. schi für das Adverb "schön".Nur am Ostrand des Westerzgebirgischen in der Gegend um

Thum und Marienberg wurden vor 60 Jahren noch die
einstmals im gesamten Westerzgebirge gebräuchliche Dehnung einsilbiger Wörter angetroffen, so in iich, diisch, koob / kuup.
Dasselbe gilt für die alten Formen zwaa und zwää gegenüber neuerem zwe. Derartige alte Formen werden heute
im Westerzgebirge durch obersächsische Sprachformen verdrängt.Kennzeichnend für das Westerzgebirge ist ebenfalls die Lautentwicklung von anlautendem gl und gn zu gel

und gen in geleich oder gelaam und Genaad.

Mit dem Vogtländischen hat das Westerzgebirge eine Reihe von Lauterscheinungen gemeinsam, von denen als Beispiel der

e-Abfall und der n-Abfall erwähnt werden sollen.

So heißt es im vogtländisch-erzgebirgischen Sprachraum Gäns
ohne Endungs-e gegenüber obersächsischem Gänse (mit Endungs-e) und we. luu, vogtländisch: loa, lua lo (ohne n)
gegenüber obersächsich: loon, luun (mit n)Den sprachlichen Gemeinsamkeiten des Westerzgebirgischen mit dem Vogtländischen stehen anderserseits mehrere
Spracherscheinungen gegenüber, die das Westerzgebirgische vom Vogtländischen unterscheiden. Unter diesen ist
der Wandel von p zu pf im Inlaut nach Konsonanten und nach der Verdoppelung besonders kennzeichnend.
Diese Sprachlinie, die vogtländisch schtrumpf und vogtländisch äpfel vom Westerzgebirgischen "schtrumb"
und "äbbel" trennt, wird häufig als die eigentliche Sprachgrenze zwischen dem Westerzgebirgischen und
dem Vogtländischen bezeichnet. Auch im Wandel der mhd. (mittelhochdeutsch) Vokale e, ee bzw. öö und oo unterscheidet sich das Westerzgebirgische
vom Vogtländischen. Das Vogtländische erhält die alten mhd. Laute, das Westerzgebirgische weist dagegen den folgenden Lautwandel auf:

Die vogtländisch-westerzgebirgische Sprachgrenze tritt nicht nur als Laut-, sondern bisweilen auch als Wortgrenze
in Erscheinung. So kennt zum Bespiel das Vogtländische den westerzgebirgisch-bergmännischen Ausdruck "Fahrt"
für Leiter nicht, und ebenso ist der bergmännische Gruß "Glückauf", der noch heute im Westerzgebirgischen ist,
 im Vogtland nicht gebräuchlich.

(Quelle: Dr. H. Clauß, Sächs. Heimblätter 3/93)